„Die Kinder der Utopie“ – Inklusion im Diskurs zwischen Utopie und den Hürden des Alltags
Mitte Mai tummelten sich etliche Personen im Eingangsbereich des Kinos „Traumpalast“ in Nürtingen. Während sich einige Personen noch eine der heiß begehrten Karten für die einmalige Vorführung des Filmprojekts sicherten, hörte man beim Vorbeigehen bei der ein oder anderen Besuchergruppe bereits vor dem Film regen Austausch über die Thematik Inklusion. Bereits vor dem Film wurde wieder deutlich: Das Thema polarisiert zehn Jahre nach in Kraft treten der UN-Behindertenrechtskonvention noch immer. Um kurz nach sieben Uhr hieß es dann, wie in vielen anderen Städten Deutschlands an diesem Abend, Film ab! Doch nicht nur die Tatsache einer bundesweit einmaligen Ausstrahlung an genau einem Abend, machte das Filmprojekt unter der Regie von Hubertus Siegert besonders, sondern viel mehr die gesamte Aufmachung des Dokumentarfilms.
Bereits im Jahr 2004 entstand der Film „Klassenleben“ unter Siegert, bei dem der Schulalltag von Schülerinnen und Schüler einer inklusiven Klasse begleitet und dokumentiert wurde. Zwölf Jahre später kommt es zum Wiedersehen der mittlerweile jungen Erwachsenen mit und ohne Handicap der ehemaligen Integrationsklasse, welche allesamt ihren eigenen Weg eingeschlagen und ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden haben oder noch auf der Suche nach diesem sind. Durch die gewählte Dramaturgie Siegerts im Film „Die Kinder der Utopie“ trifft ein Schulfreund einen anderen, welcher wiederum den nächsten trifft, bis sich der Kreis schließt und sich alle sechs Protagonisten zusammenfinden. Entstanden sind dadurch sechs Kurzportraits, die unterschiedlicher nicht ausfallen hätten können – von der frisch verliebten Altenpflegerin, dem erfolgreichen Schauspieler, über den sich noch findenden Studenten bis hin zum jungen Mann, der in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben teilhat. Doch trotz allem scheint eines die sechs jungen Erwachsenen positiv und nachhaltig geprägt zu haben: Die gemeinsame Schulzeit in der Integrationsklasse, welche das soziale Miteinander gefördert und ein Bewusstsein für reziproke Beziehungen geschafft hat.
Nach dem Film waren die 134 Zuschauer*innen noch herzlich von dem Organisationsteam des Abends (Behinderten-Förderung-Linsenhofen e.V., Stadt Nürtingen und ProjuFa Nürtingen) zur Diskussion ins Café Regenbogen eingeladen, welcher einige Personen folgten und sich eine diskussionsfreudige Gruppe mit unterschiedlichen Standpunkten und Zugängen zur Thematik zusammenfand. In der mehr als einstündigen Diskussion herrschte Konsens darüber, dass die Dokumentation die Chancen und den Mehrwert von gelingender(!) Inklusion, für unsere Gesellschaft als auch das einzelne Individuum hervorhebt. Ein Gewinn, den es von Politik, Gesellschaft aber auch dem Einzelnen anzustreben gelte. Doch wurde in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass es noch viele Hürden zu meistern gebe und die theoretische Idee der Inklusion in der Praxis häufig auf Grund der teilweise prekären Rahmenbedingungen ins Stocken gerate. Ein solch harmonisches Bild von gelingender Inklusion, wie es im Film dokumentiert wurde, scheint zumindest bis dato noch nicht die Regel in unserer heutigen Gesellschaft sein. Dass dies auch dem Regisseur und seinem Team bewusst ist, bedarf sicherlich keiner Diskussion. Allerdings fordert der Film doch die Besucher*innen vielmehr zur Utopie auf: „Schauen Sie Mal was alles möglich wäre!“